Liebe(s)Worte   

 

"Sag mir was Schönes Tim!"

   "Ich liebe dich."

Julias Augen leuchteten. Sie liebte dieses allabendliche Ritual vor dem Einschlafen. Ein Spiel, an das sie sich in zwölf

Ehejahren schon so gewöhnt hatte, dass sie es nicht mehr missen mochte.  

   "Das weiß ich. Aber ich möchte was Schönes hören, das ich noch nicht weiß!"

   "Etwas Schönes, das du noch nicht weißt?" Tim kratzte sich verlegen seinen Bart. "Also...du bist der Stern in meiner

Nudelsuppe." 

Er war stolz, dass ihm so schnell etwas eingefallen war. Und das kurz vor Mitternacht, wo sich seine grauen Zellen längst in 

den wohlverdienten Feierabend verabschiedet hatten.

  "Was?" Ihre Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen. "Soll das etwa eine Anspielung sein auf meine Körper-

figur?"

  "Aber Liebling!" Tim bedauerte bereits, seine Antwort nicht vorher genauer geprüft zu haben. "Du weißt doch, wie gerne

ich Nudelsuppe mag. Und genau so gern mag ich dich."

  "So, ich bin dir also nicht mehr wert als eine Nudelsuppe!" Der scharfe Unterton in ihrer Stimme war nicht mehr zu über-

hören. "Und der Stern ist wohl eher eine Sternschnuppe. Ich bin dir schnuppe! Jetzt weiß ich, dass du mich nicht liebst!"

Tim verschlug es die Sprache. Das kam äußerst selten vor. Als Abteilungsleiter einer großen Computerfirma mußte er täg-

lich seinen Mann stehen, Anweisungen und Antworten geben. Doch auf so etwas war er nicht gefaßt.

  "Hör mal, mein Engelchen." Diesen Ausdruck gebrauchte er vor allem dann, wenn er seine Frau wieder versöhnlich stimmen 

wollte. "Es ist kurz vor zwölf, und ich bin müde. Da mußt du nicht gleich jedes Wort auf die Goldwaage legen." Er war es leid,

zu später Stunde mit seiner Frau noch über Nudelsuppen oder Sternschnuppen diskutieren zu müssen.

  "Goldwaage?" Also ist es doch mein Gewicht, an dem du was rumzumeckern hast!" Ihre Tonlage war in ein weinerliches

Crescendo übergegangen. "Immer hast du etwas an mir auszusetzen. Nie kann ich es dir recht machen. Erst gestern..."

Tim sah rot. So rot wie der neue Lippenstift seiner Frau, den er gestern mit einem tiefen Seufzer und einer 'Schnute', wie sie

es nannte, zur Kenntnis genommen hatte.

  "Immer? Hast du immer gesagt?"

Er packte sie an der Schulter, schüttelte sie heftig hin und her. Dann warf er sie mit einem überraschenden Handgriff herum auf 

den Bauch und setzte sich rittlings auf sie.

  "Aua, du tust mir weh!"

  "Nie!"

Er preßte seine Schenkel noch fester an ihre Hüfte, wild entschlossen, auch den letzten Widerstand zu brechen.

  "He, was soll das?" 

Ihre Worte kamen nur undeutlich und gepreßt unter dem Kopfkissen hervor. Tim hielt inne. Jetzt erst spürte er den Schweiss,

der seine Haut in eine glitschige Seenlandschaft verwandelt hatte. Und seine Erregung.

Julia rührte sich nicht. Und doch spürte er, wie es unter ihm kochte. Wie auch sie eine Welle der Erregung erfaßt hatte und 

nach Erfüllung schrie.

  "Aah...."  Seine Wut war in eine wilde Zärtlichkeit umgeschlagen, wie er sie lange nicht mehr erlebt hatte.

  "Caramba!"  Weiter drehte sich das Karusell. Schneller. Wilder. Schwindel erfaßte sie. Sternschnuppen flogen wie Regenbogenfische,

bäumten sich auf, um in tausend Schuppen bunter Wirbel zu explodieren.

  "Ich liebe dich!"

 

 

 

 

Wie die Rose zur Königin der Blumen wurde

(Märchen)

 

Vor langer Zeit, als Mensch und Natur noch in Harmonie und Frieden zusammen lebten, beschlossen die Blumen,

eine Königin zu wählen.

  "Die Tiere haben ihren König und auch die Menschen. Nur wir noch nicht." Es war der Klatschmohn, der so sprach 

und dabei vielsagend mit dem Kopf nickte.

Der Vorschlag fand Gefallen, und der Wind wurde beauftragt, die Kunde davon allen Blumen zu überbringen. Also machte

er sich auf, strich über Höhen und Tiefen in alle Himmelsrichtungen.

  "Beim nächsten Vollmond, Punkt zwölf, wird im Elfenwald die Blumenkönigin gewählt", so raunte er in die Blütenkelche

und Knospen - und war auch schon wieder über dem nächsten Hügel verschwunden. Und alle, selbst der Stinkende

Nieswurz und das Gemeine Fettkraut versprachen zu kommen. 

 

Schon weit vor Mitternacht herrschte im Elfenwald ein Gedränge und Durcheinander, dass selbst der Kopfigen Teufelskralle

Angst und Bange wurde. Und hätte nicht endlich die Elfenkönigin eingegriffen, wer weiß, was in dieser Nacht alles passiert

wäre.

  "Alle Zungenblütler hierhin! Die Schmetterlingsblütler dorthin!" Sanft, aber bestimmt gab sie ihre Anweisungen, gelegentlich 

unterstützt von der Trompetenzunge, wenn einige, wie der vorwitzige Löwenzahn mit dem Aufgeblasenen Leimkraut, wegen

der besten Plätze aneinandergerieten.

Endlich, Mitternacht war bereits angebrochen, ergriff die Karthäuser-Nelke das Wort. Sie war, auf Grund ihres frommen und

ehrwürdigen Namens, gebeten worden, die Wahl zu leiten. 

  "Meine lieben Blumen. Wir haben  uns hier versammelt, um eine Königin zu wählen. Wer sich dazu berufen fühlt, möge..."

Die restlichen Worte gingen in einem lauten Tumult unter. Jeder wollte der erste sein. Jeder fühlte sich zur Königin berufen.

  "Ich bin die geborene Königin!" Der Floh-Knöterich hatte sich geschickt nach vorne gedrängt und selbst das Echte Spring-

kraut hinter sich gelassen. Eine Pfirsichblättrige Glockenblume, die er kurzerhand beiseite geschoben und damit zum Klingen 

gebracht hatte, verhalf ihm unfreiwillig, sich Gehör zu verschaffen.

  "Hört! Hört!" Die Scharfe Fetthenne konnte es nicht fassen. "Da sehe ich ja noch besser aus. Und das in meinem Alter!"

Der Wiesen-Storchschnabel schüttelte sich vor Lachen. Und selbst die Acker-Witwenblume gab ihre vornehme Zurückhaltung

auf und prustete los: "Da können wir ja gleich die Gemeine Kuhschelle wählen!"

Ein Sturm der Entrüstung ging durch den Elfenwald. Die Fraktion der Hahnenfußgewächse protestierte einmütig gegen eine

solche Diskriminierung. Und selbst das schüchterne Rührmichnichtan schüttelte mißbilligend den Kopf.

Die Karthäuser-Nelke hatte alle Mühe, die Gemüter wieder zu beruhigen. "Freunde", rief sie, "so kommen wir nicht weiter.

Ich weiß, jede von euch ist so schön und einmalig, dass sie es verdiente, die Königin der Blumen zu werden. Darum hört

meinen Vorschlag: Nur wer folgende Bedingungen erfüllt, soll in die engere Auswahl kommen und sich zur Abstimmung stellen:

Als erstes muss er wehrhaft sein! Was nützt uns eine Königin, die von Kuhbeinen zertreten oder von Schafen und Kamelen 

gefressen wird? Die Tiere haben es uns vorgemacht und den starken Löwen zu ihrem König gewählt."

  "Richtig", rief die Sibirische Schwertlilie, wurde aber gleich von der Schwarzen Königskerze zum Schweigen gebracht.

  "Zweitens", furh die Karthäuser-Nelke unerschütterlich fort, "muss unsere Königin einen unbescholtenen Namen tragen."

Die Wiesen-Wucherblume zuckte betroffen zusammen. Hatte sie sich doch einige Chancen ausgerechnet. Auch Fieberklee,

Großer Händelwurz und der Schwarze Gottvergeß zogen schnell ihre Bewerbung wieder zurück.

Anders das Christophskraut. Es hatte sich schon frühzeitig mit dem Gefleckten Aaronstab, dem Waldengelwurz und dem selbst 

in der Nacht noch gold-gelb glänzenden Johanniskraut zur Fraktion der 'bibllschen Blumen' zusammengeschlossen und zur

Verstärkung noch das Nickende Wintergrün für sich gewonnen. Jetzt schien der Augenblick günstig, sich ins rechte Licht zu 

rücken. Tatkräftig unterstützt vom Fetten Kreuzdorn, der sich in letzter Minute noch auf ihre Seite geschlagen hatte, drängte

es in die vordere Reihe der Bewerber. 

Doch da fuhr die Karthäuser-Nelke schon fort: "Was wir brauchen, ist eine Blume, schlicht, und doch edel. Eine Blume, die alle

Sinne der Menschen, denen wir in besonderer Weise verbunden sind, anspricht. Eine Blume für Liebende - aber auch für 

Trauernde. Wer sich dazu berufen weiß, trete vor!"

Alle, selbst der vorlaute Löwenzahn, schwiegen betroffen. Wer konnte da Königin werden?

Plötzlich erfüllte ein Duft den Wald, und ein Glanz, dass selbst der Mond, der doch schon vieles gesehen, sich ungläubig die

Augen rieb. Und siehe, ganz hinten, noch hinter dem Wilden Stiefmütterchen und dem Schmalblättrigen Hohlzahn, stand sie:

Bescheiden, fast verloren, und doch mit einem unvergleichlichen Glanz und einer Krone aus frischem Tau.

  "Die Rose! Die Rose soll unsere Königin werden!"

Es waren die Schneeglöckchen, die so riefen und wie wild mit ihren weißen Blütenkelchen bimmelten. 

Es dauert nicht lange, da war der ganze Feenwald von diesem Ruf erfüllt. Es wurde gefeiert und getanzt, bis das Morgenrot den

neuen Tag ankündigte. Der Wind aber  trug die Nachricht zu allen Pflanzen, Tieren und Menschen.

Das war vor langer, langer Zeit. Mensch und Natur sind längst entzweit, und manche Blumen für immer verschwunden. 

Geblieben aber ist die Erinnerung: Wie die Rose zur Königin der Blumen wurde.

 

 

 

Der Brunnen der Fröhlichkeit

(Märchen)

 

Vor langer Zeit lebte in einem fernen Land ein reicher König. Sein prunkvolles Schloss aus feinstem Marmor

stand mitten in einem prächtigen Garten. Darin gab es zierliche Beete und bunte Blumen. Und rings an den

Wegen standen Eiben und Buchsbäume, die zu allerlei lustigen Figuren zurechtgestutzt waren.

Das Kostbarste aber war ein Brunnen. In gewaltigen Fontänen sprang das Wasser in die Höhe, um dann in lieb-

lichen Wasserfällen von Stufe zu Stufe herabzuplätschern. Zwerge, Elfen und gar wunderliche Tiere aus Gold

und Edelsteinen zierten seinen Rand, so dass sich die Strahlen der Sonne in unzähligen Farbenm und Mustern

darin spiegelten.

Von nah und fern kamen die Leute, um den Brunnen zu bewundern. Am meisten aber liebten ihn die Kinder, wenn 

sie sich mit ihrenb Eltern am Brunnenrand niederließen, Geschichtzen und Märchen hörten oder im Wettstreit mit 

dem Wind gemeinsam ihre Lieder sangen.

Doch das war schon lange her. Das Wasser war versiegt und die Kinder verschollen. Manche meinten, der Brunnen

sei einfach ausgetrocknbet und die Kinder deswegen weggegangen. Andere, ein böser Fluch liege auf ihm, seit

alle Kinder plötzlich spurlos verschwunden waren; damals, als immer mehr Erwachsene sich beklagten:

  "Die Kinder machen zu viel Krach; wir brauchen unsere Ruhe!"

  "Sie kosten uns zu viel Geld; wir können uns keinen Urlaub mehr leisten."

  "Wo sollen wir noch die Zeit hernehmen, uns um sie zu kümmern?"

Da waren sie verschwunden, still und heimlich, und niemand wußte, wohin sie geraten waren. 

Die meisten Leute waren froh darüber, und zunächst ging alles seinen gewohnten Gang. Die Wirtschaft florierte,

aus Spiel- wurden Parkplätze, und nachts gab es kein Geschrei mehr von Kindern, die nicht schlafen konnten.

Nur wenige merkten, dass etwas fehlte: Märchen und Geschichten verstummten, Kinderlieder starben aus, für

das Sandmännchen kam mehr Werbung und das Lachen auf der Straße wich dem Gequietsche und Gehupe

gnervter Autofahrer. Schwermut und Traurigkeit breiteten sich aus und hatten bald das ganze Land ergriffen.

  "So kann es nicht weitergehen!Es war der Hofnarr, der so sprach und dabei vielasagend mit den Augen rollte.

"Niemand lacht mehr, und alle Fröhlichkeit ist verschwunden."

  "Er hat Recht", sagte der König und berief sogleich eine Versammlung in sein Schloss. Dann wurden Berater-

verträge geschlossen und weise und kluge Leute befragt. Die meinten dies und das, schüttelten bedenklich den 

Kopf um schlließlich unverrichteter Dinge wieder abzuziehen, nicht ohne sich vorher aus der Schatzkammer reich-

lich bedient zu haben. Endlich, und weil niemand eienen guten Rat geben konnte, ließ der König im ganzen Land

verkünden: "Wer die Fröhlichkeit wieder zurück bringen kann, soll einmal König werden und mein Königreich 

erben".

  Dies hörte der Teufel, der gerade auf Erden weilte, um nach dem Rechten zu sehen. Das Kommt mir gerade 

Recht, dachte er. So leicht komme ich an kein Königreich. Flugs verwandelte er sich in einen vornehmen Prinzen

und ritt, von prächtigem Gefolge begleitet, zum König.

  "Ich komme aus fernen Landen", dabei nannte er einen langen und hochtrabenden Namen, "und erbiete mich,

dem König und allem Volk die verlorene Fröhlichkeit wiederzubringen."

  Der König war hoch erfreut über das Versprechen und wartete gespannt, was geschehen würde. Und in der Tat

geschahen seltsame Dinge. 

   Die Sterngucker waren die ersten, die es bemerkt seit sie ihren Besen en und dem König Kunde davon brachten.

  "Ein Wunder!  Ein Wunder ist geschehen!"

  Als der König noch schlaftrunken nach Oben blickte, traute er seinen Augen nicht. Der Teufel hatte mit seinem

höllischen Gefolge am nächtlichen Himmel ein Schauspiel inszeniert, wie es vorher und nachher keines gegeben 

hatte: Kein Sternzeichen war mehr an seinem Platz. Wassermann, Schütze und Jungfrau waren zu einer Skatrunde

versammelt. Die Zwillinge ritten auf dem Steinbock, und der Krebs schwang am Schwanz des Stiers wie auf einer

Schaukel zwischen Milchstraße und Andromedanebel hin und her.

  Die Kunde davon verbreitete sich rasch wie ein Lauffeuer, und bald standen alle auf der Straße und staunten.

Aber fröhlich? Nein, fröhlich wurden sie davon nicht. Und als nach drei Nächten nicht einmal mehr die Hunde nach 

oben blickten, da gab der Teufel enttäuscht auf.

  In jenem Königreich lebte auch eine Hexe unerkannt in einem großen, hohlen Baum. Kaum jemand hatte sie zu

Gesicht bekommen, denn sie war überaus scheu. Und seit sie ihren Besen aus Versehen verbrannt hatte, flog sie

nur noch gelegentlich, als Eule getarnt, ihre nächtlichen Runden. Bei einem dieser Ausflüge war auch ihr das

höllische Spektakel nicht entgangen.

  "So ein Stümper! Viel Lärm um Nichts! Klasse, nicht Masse!" Sie war noch nie gut auf den Teufel zu sprechen

gewesen, auch wenn er weitläufig mit ihr verwandt war. Jetzt bot sich eine gute Gelegenheit, ihm ein Schnippchen 

zu schlagen. Kaum hatte sich die Aufregung gelegt, da ging sie, als Marktfrau verkleidet, zum König.

  "Allergnädigster König", dabei machte sie eine tiefe Verbeugung, "ich habe von euren großen Sorgen gehört. 

Ich bin schon viel in der Welt herumgekommen und kann Euch sicherlich helfen."

  Der König war hoch erfreut, als er dies hörte.

  "Drei Tage gebe ich dir Zeit" sprach er, "mich und mein Volk wieder fröhlich zu machen. Gelingt es dir, so sollst

du meine Nachfolgerin werden und mein Königreich erben."

  Kaum war die Nacht hereingebrochen, machte sich die Hexe ans Werk. Und es dauerte nicht lange, da schien alles

in Bewegung. Es krabbelte und kroch aus allen Ritzen und Spalten, formierte sich zu einem gewaltigen Zug, um 

endlich vor dem Schloss anzulangen.

  "Wasserspinnen hierhin, Springspinnen dortin!" 

  Leise, aber bestimmt erteilte die Hexe ihre Befehle. Und als der König am Morgen erwachte, da meinte er zu 

träumen: Wände und Decken waren nicht wieder zu erkennen. Unterstützt von Seiden- und Glanzspinnen hatten

die Tapeziersüinnen einen riesigen Gobelin  aus feinsten Fäden gewoben. Darin Bilder von den  schönsten 

Bauwerken des Königreichs. Kronleuchter, von Feenlämpchenspinnen kunstvoll gewirkt, bewegten sich im

Rhythmus des sanften Morgenwinds. Und über dem Bett des Königs hatten Baldachinspinnen  einen künstlichen

Himmel gespannt, von den Sechsaugenspinnen effektvoll verziert mit einem Krebs, dem Sternzeichen des Königs.

Aber erst der Garten! Die Labyrinthspinnen, Meister ihres Fachs, hatten gute Arbeitr geleistet und ihn in einen

Irrgarten verwandelt. Unter den Brunnen hatten Zitterspinnen so geschickt mit unzähligen Fäden und Tröpfchen

umsponnen, dass jedermann glaubte, das Wasser flösse wieder wie in alten Zeiten.

  Es dauerte nicht lange, da hatte sich das Schauspiel im ganzen Land herumgesprochen. Von überall her strömten

die Menschen herbei und staunten. Aber fröhlich? Nein, fröhlich wurden sie dadurch auch nicht. Und noch ehe die

drei Tage vorüber waren, machte sich die Hexe unverrichteter Dinge wieder auf in den Wald.  

 

  Den König befiel noch größere Traurigkeit und er wußte nicht, wie er sich und seinem Lande noch helfen konnte.

Während er noch grübelte, fiel ihm plötzlich ein, dass ein Mönch im entlegensten Winkel seines Königreichs lebte.

Er hatte sich dort, von den Menschen fast vergessen, in einer Höhle niedergelassen, um schweigend gott und

seinem Seelenheil zu dienen. Zu ihm machte sichd der König auf. Lang war der Weg und beschwerlich, und der

König mußte viel Mühsal auf sich nehmen, bis er endlich den Einsiedler gefunden hatte.

  "Gott zum Gruß, ehrwürdiger Vater", redete er  ihn an.

  Der Mönch antwortete nicht.

  "Ich habe großen Kummer", fuhr der König fort. "Die Menschen in meinem Land haben alles, was sie brauchen:

Arbeit, Essen, ein Dach über dem Kopf. Trotzdem sind sie nicht glücklich, lachen nur gequält, und niemand ist mehr 

fröhlich. Was können wir nur tun?"

  Der Mönch schwieg noch immer. Doch schien es dem König, kals male der Mönch mit seiner Hand wie zufällig 

Zeichen und Buchstaben in den lehmigen Waldboden. Dann stand er auf, nickte dem König kurz zu und ging in seine

Höhle zurück. 

  Traurig schaute ihm der König nach. Nun war alle Hoffnung dahin. Da fiel sein Blick auf den Platz, wo der Mönch

gesessen hatte. Und je länger er hinsah, desto deutlicher erschienen ihm die Buchstaben, die der Mönch in die

Erde geritzt hatte. Und er las mit zitternder Stimme: 'Findet Kinder!' Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

So schnell ihn seine Füße trugen, lief er zurück zu seinem Schloss. Boten wurden ausgesandt, die überall ver-

kündeten: "Kinder, kommt zurück.  Ihr seid herzlich willkommen!"

  Die Kinder, die sich in den unwegsamen Wäldern versteckt und einen Zufluchtsort aufgebaut hatten, hörten die

Kunde. Und es dauerte nicht lange, da trauten sich die ersten wieder nach Hause. Dann wurden es immer mehr, bis 

sich schließlich alle Kinder wieder eingefunden hatten. Da war die Freude groß, und es wurde ein Fest gefeiert, wie

es das Land noch nie gesehen hatte. Alle tanzten, lachten und waren fröhlich. Und plötzlich, als hätte ein geheimer

Zauber ihn befreit, fing der Brunnen im Garten wieder an zu plätschern. Zunächst leise, dann immer lauter. Und die

Fontänen sprang höher denn je, als wollten sie alles nachholen, was sie in den vergangenen Jahren versäumt

hatten. Seit dieser Zeit aber hieß er nur noch 'Der Brunnen der Fröhlichkeit'. 

 

 

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